Tagesforum für Pastoren und Leitende in Bregenz, 22. Oktober 2019

Zusammengefasst von Marcel R. Bernhardsgrütter

Wenn wir uns als Hauptverantwortliche hinter unserem Team verstecken, werden wir die Position nicht ausfüllen können. Doch wie können wir zu starken Leitern werden? Was braucht es dazu und welche Herausforderungen stellen sich auf dem Weg dorthin? Und nicht zuletzt: Wieviel Leiterschaft braucht und verträgt eine westliche Gemeinde?

Als Josua zum Nachfolger von Mose eingesetzt wurde, gibt Mose ihm auf den Weg: «Sei stark und mutig!» (5 Mo 31,7). Diese Aufforderung an Josua, als Leiter stark und mutig zu sein, wird weitere fünf Male wiederholt (5 Mo 31,23; Jos 1,6:7:9:18), auch durch das Volk und durch den Engel des Herrn. Dieser ergänzt: «… fürchte dich nicht und sei nicht mutlos» (Jos 1,9). Damit wird schon darauf hingewiesen, dass im Leben eines Leiters Dinge geschehen, die ihm Angst machen und ihm den Mut nehmen wollen.

Diese sechsfache Aufforderung, stark und mutig zu sein sind vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass Josua von seiner Persönlichkeit her eben nicht stark und mutig war und dass die Botschaft nach dem ersten Mal sein Herz noch nicht erreicht hatte. Interessant ist zudem, dass das Volk von Josua ebenfalls fordert, stark und mutig zu sein – gewissermassen als Bedingung für Gehorsam. Das deutet an, dass gute Leiterschaft ein menschliches Grundbedürfnis ist, in dem sich letztlich die Sehnsucht nach Gott und Seiner Leitung widerspiegelt.

Leiterschaft geschieht immer im gesellschaftlichen Kontext, weshalb wir verstehen müssen, wie unsere Gesellschaft hinsichtlich Leiterschaft geprägt ist. Gleichzeitig geschieht biblische Autorität durch Berufung und Beauftragung von Gott. Dadurch eröffnet sich ein Spannungsfeld, das verständlich macht, wieso die Bibel so oft davon spricht, dass wir mutig, stark und kühn oder eben nicht mutlos, ängstlich und verzagt sein sollen.

Zudem erkennen wir aus den biblischen Berichten, dass Gott meistens Menschen zu Leitern beruft, die gar keine Leiter sein wollten. Und dass diejenigen, die ein gesundes Mass an Selbstbewusstsein im gesellschaftlichen Verständnis hatten, einen Prozess durchlaufen, in welchem sie von Gott gewissermassen ‘entleert’ werden, damit Er sie brauchen kann. So zum Beispiel Mose, der nach 40 Jahren bei den Schafen innerlich völlig entleert und dadurch Gott gerade recht war. Oder später bei Saul, der erfolglos die Eselinnen seines Vaters suchte und mit leeren Taschen bei Samuel ankam. Und wird von diesem als Vermögender gegrüsst (1 Sam 9,20).

Auch die Jünger Jesu sind Schwache und Entleerte nach ihrer Herkunft, Bildung und Erfahrung. Aber Gott baut Sein Reich durch sie. So sind geistliche Leiter auch Menschen, die Gott durch alle Tiefen ihres Lebens folgen. Dein Wille geschehe, nicht meiner. So sind starke Leiter im biblischen Sinn etwas völlig anderes, als die gesellschaftliche Vorstellung davon. Dies beginnt schon bei den Grundlagen. Denn Demokratie meint, dass die Mehrheit Recht hat. Was in der Praxis auch bedeutet, dass sie keinen Leiter andauernd über sich dulden will. Das ist das Gegenteil von Theokratie, wo es um Gottes Willen geht (Dein Wille geschehe). So geht es nicht um Theokratie als Staatsform, sondern als Unterordnung unter das, was Gott ist und was Er setzt. Die meisten Freikirchen sind von ihrer Rechtsform her als demokratische Vereine organisiert und stehen dadurch in genau dieser Spannung.

Diese zeigt sich auch im weiteren Verlauf der Geschichte Sauls. Als König missachtet er das prophetische Amt und dadurch die Ordnungen der Theokratie. Dies konnte deshalb geschehen, weil er bereits früher Ehre für sich behielt und die Ehre des Volkes suchte, obwohl Gott klar äußerte, dass ER mit niemanden die Ehre seines Handelns teilen wird.

Wie steht es nun um die Autorität geistlicher Leiterschaft in der neutestamentlichen Gemeinde?

Der wichtigste Unterschied zur alttestamentlichen Gemeinde besteht darin, dass nun alle den Heiligen Geist erhalten. Da dies im AT nicht der Fall war, konnten diejenigen ohne Geist (das Volk) nicht mitreden und wurden von den Gesalbten gewissermassen ‘dominiert’. Das hat aber im NT keine Berechtigung mehr. Davon zeugt auch die Begebenheit in Apg 16, welche darin endet, dass das Team um Paulus gemeinsam erkannte, was Gottes Wille war.

Bis heute wird das Konzept von Autorität und Unterordnung in der Gemeindepraxis oft nicht akzeptiert oder missverstanden. Viele sagen: «ich ordne mich ein, solange ich einverstanden bin.» Denn unsere Kultur hat sehr viele Autoritätsgeschädigte hervorgebracht. So haben wir auch in Gemeinden ein Durcheinander, was theokratische Ordnungen angeht – bis hinunter in Familie und Ehe. Das bedarf zuerst Heilung. Und ein Aspekt dieser Heilung geschieht durch Vergebung und einer Kultur der Ehre. Dies ist wichtig, da die Standards der Bibel so wieder ———– in die Gemeinde gebracht werden können.

Nun gibt es da aber auch kontinentale Unterschiede. Während in Amerika die Gemeinden ihren Pastoren gegenüber sehr loyal sind und in Afrika Pastoren von ihren Gemeinden oftmals geradezu verehrt werden, gelten sie im westlichen Europa nicht wirklich als glaubwürdig. Das führt dazu, dass Pastoren in Europa gar nicht mehr damit rechnen, dass die Menschen ihrer Lehre folgen. In der Folge predigen sie biblische Standards unsystematisch und überdosiert. Würden die Leute ihrer Lehre folgen, führte dies zu Überforderung und chaotischen Zuständen.

Worin bestehen nun die grössten Unterschiede in den Anforderungen an Leitende in der Gesellschaft zu Leitenden in der Gemeinde – gerade auch angesichts der menschlichen Grundrebellion? Erstere fordert von ihren Leitern Durchsetzungsfähigkeit, Engagement, Überzeugungskraft sowie hohe Kompetenz kommunikativer, unternehmerischer und fachlicher Art.

In Gottes Reich liegen die Akzente hingegen auf Lernbereitschaft, Glauben, Loyalität und der Umsetzung. Die Autorität eines solchen Leiters basiert auf drei Säulen:

  1. Der Qualifikation durch Wissen und Können als Folge der erwähnten Lernbereitschaft. Ein starker Leiter hat in diesem Sinne auch stark zu liefern und kann Unterordnung nicht einfach per Bibeldekret einfordern.
  2. Der Übereinstimmung von Lehre und Leben. Dies erfordert auch Nahbarkeit und Transparenz.
  3. Der Geschichte des Amtes, also dem, was früher war. Dies ist jedoch die deutlich schwächste Säule, welche im schlechtesten Fall zum reinen ‘Amtsgehabe’ wird.

Treibende Kraft eines solchen Leiters ist die Liebe Gottes, die ihn drängt. Er empfiehlt und motiviert sich nicht selbst. Leiter, die nicht von der Liebe Gottes ‘gedrängt’ werden, sind entweder menschengefällig oder machtorientiert. Menschengefällige bringen eine derart weichgespülte Version des Willen Gottes, dass die Menschen gar nicht mehr verstehen (können), worum es geht. Die Gemeinde als Ganzes hat dann kaum mehr Relevanz für die Gesellschaft, in der sie lebt. Während Machtorientierte auf der anderen Seite in der Versuchung des Machtmissbrauchs stehen. In solch einer Gemeinde ist Mitsprache nur Alibi und die Gefahr real, dass die Gemeinde zur Sekte wird. Oder, bei geringerer Ausprägung, dass Gemeinden durch hohe Anforderungen und einseitigem Endzeitfokus massenweise psychisch angeschlagene Menschen hervorbringen.

Als Abgleich kann die Sekten-Checkliste des Kultusministeriums hilfreich sein, um zu sehen, wo staatliche Behörden die Grenze zur Sekte ziehen.

Siehe: https://www.sekten-sachsen.de/checkliste.htm

Oder: http://www.ebi-sachsen.de/sekten/checkliste.html

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Kategorien: Pastorendienst