Martin Benz

Nun bin ich seit 25 Jahren Pastor und verkehre natürlich in Kreisen, wo man vielen anderen Pastoren und Leitern begegnet. Und bei diesen Begegnungen kommt sehr schnell die Frage auf: „Wieviele Leute habt ihr in der Gemeinde?“ oder „Wie groß seid ihr?“

Diese Frage hat mehrere Horizonte: zum einen soll die Info über die Gemeindegrösse helfen, die Gemeinde besser einschätzen und sich eine klarere Vorstellung dieser Kirche machen zu können. Ob eine Gemeinde 40 oder 800 Leute hat verrät sofort etwas über die Art des Gottesdienstes, die Komplexität, die Angebote, die Räumlichkeiten, das Budget und so weiter.

Aber noch viel mehr gibt die Gemeindegrösse im Gespräch mit einem anderen Pastor darüber Auskunft, wie ich mein Gegenüber einschätzen muss und wie ich mich selbst im anstehenden Gespräch positionieren kann.

Was für ein Kaliber an Leiter habe ich vor mir? Bin ich eher Meister oder Lehrling, Zuhörer oder Ratgeber, derjenige der bewundert wird oder der Bewundernde? So oft passiert es, dass einem irgendwie ein Stein vom Herzen fällt, wenn man gemeindemässig mithalten kann oder sogar höhere Mitgliederzahlen zu bieten hat. Ich habe so oft bemerkt, wie meine innere Zählweise in solchen Momenten sehr großzügig wurde: plötzlich zähle ich zu unseren Mitglieder auch die Neugeborenen oder die Leute, die ich schon über ein Jahr nicht mehr gesehen habe. Ich bin des Vergleichens müde! Ich möchte aussteigen aus dem Karussell der demonstrierten Machbarkeiten.

Jesus war an Jüngerschaft interessiert und nicht an Zahlen. In Johannes 6 hält er solch eine herausfordernde Rede seinen Jüngern gegenüber, dass ihm viele danach die Gefolgschaft versagten. Und Jesus stand danach nicht unter Schock über das, was er da gerade angerichtet hat, sondern setzt noch eins drauf: „Daran nehmt ihr Anstoß? Wartet doch, bis ihr den Menschensohn in den Himmel zurückkehren seht! (Joh.6,62) Er bettelt auch nicht um die Unterstützung und Loyalität der 12 verbliebenen engsten Vertrauten, sondern stellt klärend die Frage, ob sie ihn ebenfalls verlassen möchten.

Jesus wusste, dass das Reich Gottes mehr mit einer Handvoll begeisterter und opferbereiter Jünger (= Lehrlinge, Schüler) anfangen kann als mit 1000 Mitläufern, die man mit Wundern, Segnungen, Verheißungen und Bewahrungen bei Laune halten muss.

Wie messen wir also den Zustand unsrer Gemeinden? An der Zahl der Gottesdienstbesucher? An den Mitgliederzahlen auf irgendwelchen Listen? An der Zahl Neubekehrter oder Getaufter? An den Vielen, die wir als Leiter mit unserem Charisma, unsren Predigten, unseren Erkenntnissen, unsrem Unterhaltungswert und der Fähigkeit uns ständig neu erfinden zu können bei der Stange halten müssen?

In einem Blogbeitrag von Mike Frost bin ich auf ein paar wesentlich spannendere Kriterien gestoßen, auf die wir in Zukunft zählen sollten, wenn wir unsere Gemeinde messen. Es würde uns auch helfen, uns wieder auf die zentrale Gemeindearbeit zu konzentrieren, anstatt Äußerlichkeiten zu optimieren (Sound, Licht, Info LCD im Foyer, Bühnenbild, Nebelmaschine…).

Diese Kriterien zeigen mir wieder, warum ich eigentlich damals vor 25 Jahren für die Gemeindearbeit angetreten bin. Sie klären nach Simon Sinek mein „Warum“. Denn ich verliere mich im gemeindlichen Konkurrenzangebot der Stadt so schnell im „Was“ und „Wie“.

Hier ist ein Vorschlag von Autor und Berater Reggie McNeal. Er ermutigt Gemeinden, einmal Folgendes abzuschätzen:

  • Die Anzahl von Personen, die berichten, dass ihre Ehen im Laufe der Zeit besser geworden sind;
  • Die Anzahl von Personen, die berichten, dass ihre Freundschaften im Laufe der Zeit besser geworden sind;
  • Die Anzahl von Personen, die von einem Mentor betreut werden;
  • Die Anzahl von Personen, die als Mentoren dienen;
  • Die Anzahl von Personen, die eine deutliche Aussage machen können zu einer Lebensaufgabe;
  • Die Anzahl von Personen, die anderen Menschen auf einem bestimmten Gebiet dienen, sei es Gemeinde oder woanders;
  • Die Anzahl von Personen, die eine bewusste Segensstrategie für die Menschen um sie herum ausüben;
  • Die Anzahl von Personen, die wachsen in der Bereitschaft, für finanzielle Angelegenheiten des Königreichs zu geben.

Es ist ein Versuch in der Art, wie ich es immer sage. Gemeinden müssen zurückkehren ans Zeichenbrett und Gott fragen, warum sie existieren, um dann herauszufinden, wie man das misst.

Und ich würde noch ergänzen:

Die Zahl der Menschen, die sich um einen fairen, nachhaltigen und zunehmend einfachen Lebensstil bemühen;

Die Zahl der Menschen, die von einer Liebe zur ganzen Kirche geprägt sind und Mauern einreißen statt neue aufzubauen

Die Zahl der Menschen, deren gelebter Glaube sich durch die Formel „Gott von ganzem Herzen lieben und meinen Mitmenschen wie mich selbst“ beschreiben lässt.

Martin, (1967) hat die Vineyard Basel 1993 gegründet und ist seither ihr leitender Pastor. Er studierte Theologie in Basel und ist nebenbei als Dozent tätig und Autor des Buches „Wenn der Geist fällt“. Er ist mit Nina verheiratet und hat fünf Kinder. In seinem Blog „Was ich noch sagen wollte…“ formuliert er inspirierende Gedanken, denkt quer, geht auf aktuelle Geschehnisse ein und vertieft einige seiner Predigtthemen. Er hat auch einen Podcast. Unter dem Titel „Movecasthttp://movecast.podbeancom/packt er heisse Eisen an und will mithelfen, dass unser Glaube bei allen Fragen und Herausforderungen lebendig und in Bewegung bleibt.